Geschichte und Zukunft von Arbeitsorganisation und Partizipation
– Projekt 5 –
Wenn von der Gestaltbarkeit des digitalen Wandels die Rede ist, dann sind nicht nur die neuen Möglichkeiten der Prozessoptimierung oder im Gegenzug dazu das Beharren auf althergebrachten Produktionsstrukturen angesprochen. Das Potenzial für gute digitalisierte Arbeit ist vor allem eine Frage ihrer Organisation.
Im Sinne eines Leitbilds für den Organisationswandel hat in jüngerer Vergangenheit beispielsweise die Softwareentwicklung wichtige Stichworte geliefert. Mit einem kontextspezifisch sehr unterschiedlich ausgelegten Set agiler Organisationsmethoden sind hier beachtliche Erfolge hinsichtlich der Verkürzung von Produktionszyklen und der Kundenanpassung von Produkten erzielt worden. Gerade in Deutschland sind zudem die Potenziale agiler Methoden für die Stärkung der Autonomie von Beschäftigten im Arbeitsprozess, für deren Beteiligung an strategischen Entscheidungen im Unternehmen und für deren Souveränität hinsichtlich der Gestaltung von Arbeits- und Lebenszeit betont worden. Betriebspraktiker erhoffen sich, eben jene Produktivitäts- und Humanisierungsimpulse nun auch jenseits der Softwareentwicklung implementieren zu können. Kritische Stimmen halten dieser optimistischen Perspektive den geringen Organisationsgrad agiler Leitunternehmen, die sozialen Kosten der Beschleunigung von Produktionszyklen und die aus permanenter Wiederholung entstehenden Arbeitsbelastungen entgegen.
Die strukturellen Bedingungen, unter denen neue Arbeitsformen wie Agilität zu guter Arbeit führen, die Bewertung zeitgenössischer Organisationsmethoden vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung von Arbeit oder ihre Bedeutung für deren Zukunft liegen dabei empirisch noch in weiten Teilen im Dunkeln. Wichtige Fragen sind u.a.:
- Fördert oder verhindert beispielsweise der Einsatz digitaler Technologien in modernen Arbeitsprozessen die Kompetenzentwicklung, Autonomie und Partizipation der Beschäftigten? Entwickeln sich neue Modelle der Mitbestimmung im Rahmen spezifischer Organisationsmodelle?
- Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Tätigkeiten in der Produktions-, der Wissens- und der Servicearbeit und die jeweiligen Produktkategorien für das Gelingen guter Arbeit?
- Sind iterative, ‚flache‘ Organisationen primär ein Modell für einige wenige Branchen wie etwa die Softwareentwicklung? Unter welchen Bedingungen lassen sich agile Methoden erfolgreich in anderen Entwicklungs-und Planungstätigkeiten einsetzen?
- Welche Faktoren begrenzen das Anwendungsfeld partizipationsorientierter Organisationsmethoden: Spielen etwa, im Sinne eines spezifischen human scale, Unternehmensgrößen eine zentrale Rolle für die Umsetzung agiler Methoden? Wie wirken sich verschiedene Unternehmens- beziehungsweise Teamgrößen auf Arbeitsstress unter agilen Bedingungen aus? Wie eng oder weit sind die Gestaltungsspielräume, wie groß die demokratischen Potentiale neuer Arbeitsformen in klassischen mittelständischen Unternehmensformen im Gegensatz zu schnellwachsenden Startups und traditionellen Großkonzernen?
- Welche Rolle spielen soziale Faktoren wie die Generationenlage von Beschäftigten und die spezifische Unternehmens- oder Führungskultur für das Gelingen guter Arbeit?
- Wie steht es in analytischer Hinsicht um Kontinuitäten, Brüche und Parallelen zwischen neueren Organisationsformen und ihren historischen Vorgängern: Wie viel Taylorismus und Lean Organization stecken beispielsweise in den verschiedenen Formen agiler Arbeit? Welche Pfadabhängigkeiten lassen sich bei neuen Arbeitsformen identifizieren und wie wirken sie in den jeweiligen Arbeitskontexten?
Im Projekt steht zudem die Frage nach der Zukunft von „Beruflichkeit“ insbesondere mit Blick auf Qualifikation und die Dynamik des Facharbeiterbegriffes im Fokus. Ein zentrales Merkmal von Facharbeit ist beispielsweise der hohe Stellenwert von Wissenstransfers. Vor dem Hintergrund neuer Arbeitsformen und Arbeitsanforderungen stellen wir in diesem Projekt (in enger Verschränkung mit Projekt 2 „Arbeitsteilung“) deshalb auch die Frage nach der Zukunft der Facharbeit: Wie relevant wird die klassische Facharbeit vor dem Hintergrund neuer Arbeitsformen und neuer Möglichkeiten des (situativen) Wissentransfers bleiben?
Mit dem Forschungsschwerpunkt „Geschichte und Zukunft der Arbeitsorganisation und Partizipation“ geht das IGZA der Entwicklung sowie neuen Spannungsverhältnissen, Konflikten und Potenzialen von Organisationsformen und unterschiedlichen Formen der Partizipation von Beschäftigten nach. Interessierte Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen der Ökonomie, Soziologie, Geschichtswissenschaften und verwandten Disziplinen, die zu ähnlichen Themen arbeiten, werden zur Mitarbeit eingeladen.